Folge 8 I Dressur oder Erziehung? – Haben oder Sein?

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Marlene Marlow

Dressur oder Erziehung? – Haben oder Sein?

Wie unsere Weltsicht das Leben unseres Hundes prägt

„Was kann denn der Hund?“

Diese Frage erinnert mich immer an einen der Sketche des großen Loriot, (vielleicht erinnert ihr euch?) und ich muss lachen. Bruchteile von Sekunden später reagiert etwas in mir, es fühlt sich an wie ein kleiner Faustschlag in die Magengrube und mir bleibt das Lachen im Halse stecken. Übelkeit steigt in mir auf, während meine Gedanken blitzschnell wandernd die hinter dieser Frage stehende Weltsicht des Menschen scannen und einzuschätzen versuchen, was diese für den Hund bedeutet.

„Ja, was soll er denn können?“, möchte ich an den Fragenden zurückgeben. Noch viel mehr möchte ich den Blick auf den Hund desjenigen hinterfragen. Es ist, als würden wir von einem Auto sprechen, „Gute Beschleunigung, 140 PS, Hybrid, bla, bla, bla.“ Gleich dahinter könnte die Frage stehen: “Was nützt er mir?“ Diese Sichtweise macht den Hund ganz klar zum Objekt. Ähnlich, wenn wir einen neuen Menschen kennenlernen und uns nach seinem Beruf oder Einkommen erkundigen. Surreal für mich. Realität in einer Welt, in der das Gegenüber nach der Frage eingeschätzt wird, „Was bringt der- oder diejenige mir?“ Als wäre das Leben ein Business-Event.

Haben oder Sein?

Die gesellschaftlichen Umstände bedingen das Individuum, das nennen wir Sozialisation. Das kennen wir von unseren Hunden und selbstverständlich trifft das auch auf uns Menschen zu. In unserer auf Konsum ausgerichteten, kapitalistischen, neoliberalen Welt, sind die meisten von uns erst einmal auf die Geisteshaltung des Habens geprägt (die Verhaltensbiologin Dorit Feddersen-Petersen würde vielleicht sagen, „präge-ähnlich beeinflusst“. 😊) und es bedarf erst eines Prozesses der Einsicht, um vom Haben (-Wollen) zum Sein zu gelangen.

Warum die Entwicklung für Dich und Deinen Hund (und für den gesamten Planeten) vom Haben zum Sein der Weg in die Freiheit, und damit zu wahrem Glück und Zufriedenheit ist

Der deutsch-US-amerikanische Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe Erich Fromm hat das in seinem gesamten Werk (lest seinen Wikipedia Eintrag, das ist schon komplett erhellend) und natürlich in seinem gleichnamigen 1976 in den USA erschienenen Buch „Haben oder Sein – die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft“ wunderbar durch dekliniert. Sein Werk ist aktueller denn je.

Worum geht es?

Der deutsche Autor, Publizist und Pädagoge Martin R. Textor hat dies, besser als ich es könnte, zusammengefasst und ich zitiere hier aus seinem Artikel „Haben oder Sein. Vor 45 Jahren erschien das wegweisende Buch von Erich Fromm“.
(Sämtlich Zitate im Auszug aus Textors Artikel entstammen der 45. Auflage der dtv-Taschenbuchausgabe von 2018 „Haben oder Sein – die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft“. von Erich Fromm)

„Erich Fromm beginnt seine Ausführungen mit den Worten: ‚Die große Verheißung unbegrenzten Fortschritts – die Aussicht auf Unterwerfung der Natur und auf materiellen Überfluss, auf das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl und auf uneingeschränkte persönliche Freiheit – das war es, was die Hoffnung und den Glauben von Generationen seit Beginn des Industriezeitalters aufrechterhielt‘ (S. 13). Die Menschen erwarteten, „auf dem Wege zu unbegrenzter Produktion und damit auch zu unbegrenztem Konsum zu sein, durch die Technik allmächtig und durch die Wissenschaft allwissend zu werden“ (S. 13). Sie fühlten sich als Herren ihres eigenen Lebens und rechneten damit, dass bald alle Menschen absolut glücklich sein werden. In den 1970er Jahren stellten aber immer mehr Menschen fest, dass sich die „große Verheißung“ als reine Illusion entpuppte, und wurden sich „folgender Tatsachen bewusst:
• dass Glück und größtmögliches Vergnügen nicht aus der uneingeschränkten Befriedigung aller Wünsche resultieren und nicht zu Wohl-Sein (well-being) führen;
• dass der Traum, unabhängige Herren über unser Leben zu sein, mit unserer Erkenntnis endete, dass wir alle zu Rädern in der bürokratischen Maschine geworden sind;
• dass unsere Gedanken, Gefühle und unser Geschmack durch den Industrie- und Staatsapparat manipuliert werden, der die Massenmedien beherrscht;
• dass der wachsende wirtschaftliche Fortschritt auf die reichen Nationen beschränkt blieb und der Abstand zwischen ihnen und den armen Nationen immer größer geworden ist;
• dass der technische Fortschritt sowohl ökologische Gefahren als auch die Gefahr eines Atomkrieges mit sich brachte, die jede für sich oder beide zusammen jeglicher Zivilisation und vielleicht sogar jedem Leben ein Ende bereiten können“ (S. 14 f.)… Dass sich die „große Verheißung“ nicht erfüllt hat, liegt laut Erich Fromm u.a. daran, dass die beiden wichtigsten psychologischen Prämissen des Industriezeitalters nicht stimmen würden, „nämlich 1. dass das Ziel des Lebens Glück, das heißt ein Maximum an Lust sei, worunter man die Befriedigung aller Wünsche oder subjektiven Bedürfnisse, die ein Mensch haben kann, versteht (radikaler Hedonismus); 2. dass Egoismus, Selbstsucht und Habgier – Eigenschaften, die das System fördern muss, um existieren zu können – zu Harmonie und Frieden führen“ (S. 15). Zum einen lässt sich feststellen, dass die Menschen sich heute keinesfalls wohler als frühere Generationen fühlen, obwohl die meisten inzwischen ihre Wünsche befriedigen können, sondern unglücklich, „einsam, von Ängsten gequält, deprimiert, destruktiv, abhängig“ und notorisch unglücklich sind (S. 18). Zum anderen zeigt sich, dass Egoismus und Besitzstreben zwischenmenschliche Beziehungen vergiften, „dass ich immer habgieriger werden muss, denn wenn Haben mein Ziel ist, bin ich um so mehr, je mehr ich habe; dass ich allen anderen gegenüber feindselig bin – meinen Kunden gegenüber, die ich betrügen, meinen Konkurrenten, die ich ruinieren, meinen Arbeitern, die ich ausbeuten möchte. Ich kann nie zufrieden sein, denn meine Wünsche sind endlos. Ich muss jene beneiden, die mehr haben als ich, und mich vor jenen fürchten, die weniger haben. Aber alle diese Gefühle muss ich verdrängen, um (vor anderen und vor mir selbst) der lächelnde, vernünftige, ehrliche, freundliche Mensch zu sein, als der sich jedermann ausgibt“ (S. 19).“

Martin R. Textor
https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/paedagogik/haben-oder-sein/

Wow, bähm! So wahr.
Das sollte allen Kindern in der Schule in der 7. Klasse in Sozialkunde/Gemeinschaftskunde als Basisverständnis für unsere Gesellschaft gelehrt werden, dann wären wir einen großen Schritt weiter.

Was für Konsequenzen ergeben sich?


„Zugleich haben die beiden Prämissen laut Erich Fromm dazu geführt, dass wirtschaftliches Handeln von ethischen Werten und Normen weitgehend ‚befreit‘ wurde, dass Egoismus, Selbstsucht und Habgier als angeboren gelten, dass Gesellschaften, in denen diese menschlichen Qualitäten verpönt sind, als ‚primitiv‘ abqualifiziert wurden und dass die Natur nicht als etwas Erhaltenswertes betrachtet, sondern für die Ausbeutung und damit für ihre Zerstörung freigegeben wurde. Erst als in den 1970er Jahren die Grenzen des Wachstums (Begrenztheit der Naturschätze) und das Ausmaß der Umweltverschmutzung deutlich wurden, erst als Ängste vor einer ökonomischen und einer ökologischen Katastrophe virulent wurden, begann ein Umdenken: Es wurden eine neue Ethik sowie eine schützende und bewahrende Haltung gegenüber der Natur gefordert. Erich Fromm nimmt diese Forderungen auf und schreibt: „Die Notwendigkeit einer radikalen menschlichen Veränderung ist … auch eine Voraussetzung für das nackte Überleben der Menschheit. Richtig leben heißt nicht länger, nur ein ethisches oder religiöses Gebot erfüllen. Zum ersten Mal in der Geschichte hängt das physische Überleben der Menschheit von einer radikalen seelischen Veränderung des Menschen ab“ (S. 23).“

Martin R. Textor
https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/paedagogik/haben-oder-sein/

Ihr seht, seit den 1970 Jahren sind diese Dinge bekannt und dennoch noch nicht verändert.
Warum? Weil dem gesellschaftlichen Wandel ein individueller vorangehen muss, es läuft immer wieder darauf hinaus. (Lest dazu auch „Ein Triptychon – Teil II. Empathie und wahre Liebe“)

Was beinhaltet dieser Wandel und was braucht er?

Dafür schauen wir uns an, wie Fromm die Unterschiede zwischen der Geisteshaltungen des Haben (-Wollens) und des Seins definiert. Weiter mit Martin R. Textors Beitrag.

• Lernen: Haben zeigt sich in der möglichst vollständigen Einprägung des Lernstoffes, um ihn anschließend z. B. bei einer Prüfung wiedergeben zu können. Bei der Existenzweise des Seins wird hingegen der Lerninhalt Teil der eigenen Gedankenwelt, erweitert und bereichert sie. Das ist aber nur dann der Fall, wenn sich der Lernende für das jeweilige Thema interessiert.
• Erinnern: In der Weise des Habens bedeutet Erinnern etwas völlig Mechanisches oder ein logisches Verknüpfen, in der Weise des Seins jedoch ein aktives Tun, ein bewusstes Wiedererleben. Im erstgenannten Fall wird Erinnerungswertes z.B. mithilfe von Fotos oder Aufzeichnungen dokumentiert, im anderen Fall wird es zu einem lebendigen Gedächtnisinhalt, der auch produktives Denken ermöglicht.
• Miteinander sprechen: Bei der Existenzweise des Habens ist die eigene Meinung ein Besitz. Man sucht nach immer neuen Argumenten, um die eigene Auffassung zu verteidigen, ist also nicht bereit, sie zu ändern. Auf ein wichtiges Gespräch bereitet man sich vor, plant die Unterredung und versucht, sich möglichst vorteilhaft zu präsentieren. Bei der Existenzweise des Seins wirkt der Mensch lebendig, tritt mit dem Gesprächspartner in einen Dialog ein und erlebt den offenen Austausch als etwas Freudvolles. Hier kommt es nicht darauf an, wer recht hat.
• Lesen: In der Weise des Habens wird ein Roman „konsumiert“, werden die Inhalte von Schul- und Lehrbüchern, von Philosophen und Historikern so vollständig wie möglich rezipiert und wiedergegeben. In der Weise des Seins setzt sich der Lesende mit den Inhalten auseinander, hinterfragt sie und sucht dann den wirklich neuen bzw. wertvollen Aussagen.
• Autorität ausüben: Im ersten Fall besitzt ein Mensch Autorität aufgrund seiner Position in einer patriarchalischen Gesellschaft bzw. in einer Hierarchie, übt Macht aus und beutet die unter ihm Stehenden aus. Im zweiten Fall hat er Autorität aufgrund von Weisheit, Kompetenz, Geschicklichkeit und anderen Eigenschaften erworben und strahlt sie durch die eigene Persönlichkeit aus. Die anderen Menschen folgen ihm freiwillig.
• Wissen: „Der Unterschied zwischen den Existenzweisen des Habens und Seins auf dem Gebiet des Wissens drückt sich in den Formulierungen ‚ich habe Wissen‘ und ‚ich weiß‘ aus. Wissen zu haben heißt, verfügbares Wissen (Information) zu erwerben und in seinem Besitz zu halten; Wissen im Sinne von ‚ich weiß‘ ist funktional und Teil des produktiven Denkprozesses“ (S. 57). Dabei wird das verfügbare Wissen infrage gestellt, nach Täuschungen und Illusionen gesucht, nach Wahrheit getrachtet.
• Glauben: „In der Existenzweise des Habens ist Glaube der Besitz von Antworten, für die man keinen rationalen Beweis hat“ (S. 59). „Er ist die Eintrittskarte, mit der man sich die Zugehörigkeit zu einer großen Gruppe von Menschen erkauft, er nimmt einem die schwierige Aufgabe ab, selbst zu denken und Entscheidungen zu treffen“ (S. 60). Gott ist hier ein Idol, ein Machwerk der Menschen. In der Existenzweise des Seins ist Glaube eine innere Orientierung, eine Einstellung. Man kann an sich, an andere, an die Menschheit glauben bzw. an das Göttliche in sich selbst.
• Lieben: Bei Liebe in der Form des Habens wird das, der, die Geliebte besessen, kontrolliert und eingeschränkt; bei Liebe in der Form des Seins handelt es sich um ein produktives Tätig sein, das Eingehen und Bestätigen des, der Geliebten, das Sich-Erfreuen an ihm bzw. ihr.

Martin R. Textor
https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/paedagogik/haben-oder-sein/

Ich liebe diese Aufzählung, sie ist so wunderbar praktisch. So können wir uns alle überprüfen! Wir dürfen uns alle fragen, will ich „haben“ oder will ich „sein“? Wir dürfen uns fragen, was fühlt sich besser an? Wie will ich leben? Und last, but not least, wie will ich mit meinem Hund leben?

„Danke, Marlene“, denkst Du jetzt vielleicht, oder auch, „Na endlich, …wtf, was hat das alles mit meinem Hund zu tun?“

Wenn wir im Zustand des Haben (-Wollens) sind, haben wir eine ganz andere Sicht auf den Hund als im Zustand des Seins. Ich setze die frommsche Liste bezogen auf unser Leben mit Hund folgendermaßen fort:

Im Geistezustand des Habens, …Im Geistezustand des Seins, …
ist der Hund für den Menschen ein Objekt.ist der Hund für den Menschen ein Subjekt.
ist der Hund für den Menschen da.ist der Mensch für den Hund da.
ist der Hund da, damit der Mensch sich gut fühlt.fühlen sich Hund und Mensch gut miteinander.
sieht der Mensch nur seine Bedürfnisse.ist der Mensch in der Lage die Bedürfnisse des Hundes zu sehen.
ist der Hund ein zuverwaltendes Element,
welches der Mensch in seinen Alltag einbaut.
ist der Hund ein Gefährte und wir kreieren uns ein Leben miteinander.
ist der Hund die Verlängerung des Egos seines Menschen.ist der Hund ein eigenständiges Individuum mit eigenen Rechten.

Harter Tobak, aber wahr. Marc Bekoff formuliert es folgendermassen.

„Wir sind voll und ganz für das Wohlergehen der Hunde verantwortlich. Wir sind ihre Lebensader, und mit dieser Macht geht eine unglaubliche Verantwortung einher, denn diese Macht ist keine Lizenz, alles zu tun, was wir wollen, damit es für uns passend ist. Wir müssen Hunde für das respektieren und lieben, was sie sind, nicht für das, was wir von ihnen erwarten.“

Marc Bekoff

Dressur oder Erziehung?

Was ist Dressur?

„Als Dressur oder Abrichtung wird die Ausbildung von Tieren zu einem bestimmten Zweck bezeichnet. Die beiden Ausdrücke sind oft austauschbar (also annähernd synonym), „Abrichtung“ wird jedoch eher für die Ausbildung von Nutztieren zu Arbeitszwecken gebraucht (etwa das Abrichten von Falken für Beizjagd (jägersprachlich: abgetragen), Lawinenhunde für Suche nach Verschütteten, Kormoranen für die Fischerei etc.), während bei einer „Dressur“ eher Kunststücke zur Unterhaltung des Halters oder des Publikums eingeübt werden (z. B. Zirkuslöwen, die vom Dompteur darauf dressiert werden, durch brennende Reifen zu springen).[1]“

https://de.wikipedia.org/wiki/Dressur

Dressur ist stark verknüpft mit dem Begriff Konditionierung. Ich grenze mich hier klar ab davon, dass es möglich ist einen Hund ohne Konditionierung sicher durchs Leben zu führen, wer das behauptet, hat den Begriff der Konditionierung, rein wissenschaftlich, nicht verstanden. Es ist schlicht ein Begriff aus der Lerntheorie, letztere erklärt, wie Lernen funktioniert. Den Hund allerdings lediglich über Konditionierung zu führen und ihn nicht sozial anzusprechen, die soziale Komponente ausser Acht zu lassen, ist in der Tat, ein Verbrechen.

Zur Dressur gehören Obidience, Agility, und, so leid es mir tut, jede Art von „Hundearbeit“, Wach- und Schutzdienst, Therapiehunde, Filmhunde, Spür-, Rettungs,- und Suchhunde und alles aus diesem Bereich. Wie weit letzteres sinnvoll ist (aus der Sicht der Fürsorge für den Hund und sein Wohlergehen), dass es dabei immer um das „Wie?“, das „Wo?“ , das „Mit wem?“, „Wie oft?“ etc. geht, wie weit eine der aufgeführten Arbeiten vielleicht auch eine adäquate Beschäftigung zur Befriedung seiner biologischen, sprich genetisch disponierten, Bedürfnisse sein kann, sei bei letzterem erst einmal hinten angestellt. Ich meine, schließlich sprechen wir bei vielen Rassen von „hoch spezialisierten Arbeitsrassen“. Diese müssen, bis zu einem gewissen Maße adäquat beschäftigt werden, neben dem Erlernen von Ruhe…, etc., etc. Wieweit diese Hochspezialisierung in unserer, größtenteils, auf Begleithunde ausgerichteten Welt genetisch noch getrieben werden muss, ist infrage zu stellen. Aber, diese hochkomplexe Diskussion, die auch das Zuchtwesen hinterfragt, mag an anderer Stelle geführt werden. (Nur soviel, was meint ihr? Gehört das Zuchtwesen, also Lebewesen zu verpaaren, um deren Kinder gewinnbringend zu verkaufen, zur Kategorie „Haben“ oder zur Kategorie „Sein“? 😉)

Was ist Erziehung?

„Unter Erziehung versteht man die pädagogische Einflussnahme auf die Entwicklung und das Verhalten Heranwachsender. Dabei beinhaltet der Begriff sowohl den Prozeß als auch das Resultat dieser Einflussnahme.“[1]
Der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Brezinka definiert Erziehung als „Handlungen […], durch die Menschen versuchen, das Gefüge der psychischen Dispositionen anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll beurteilten Bestandteile zu erhalten oder die Entstehung von Dispositionen, die als schlecht bewertet werden, zu verhüten.“[2]

https://de.wikipedia.org/wiki/Erziehung

In der Definition Brezinkas ersetzen wir „andere Menschen“ durch „unsere Hunde“ und landen nun endlich bei unserer allerersten Frage und nun in einem ganz anderen Kontext, „Was kann denn der Hund?“

„Ja, was sollte er denn können?“

Selbstverständlich ist es in unserer auf soziale Kompatibilität ausgerichteten Welt von Bedeutung, dass auch ein Hund sozial „reinpasst“. Auch für einen Hund lebt es sich leichter, wenn ihm, aus der Haustür tretend, nicht gleich das Messer in der Tasche aufgeht, wenn er seinen Nachbarn sieht. Dazu gehört gute Sozialisierung, auch auf die unbelebte Umwelt. Da ich als sein Mensch für ihn in der elterlichen Position bin, die als sicherer Hafen fungiert, wenn er unsicher ist oder sich ängstigt, sein Fels in der Brandung bin, ist es wichtig, dass er gelernt hat, mir unabdingbar zu vertrauen. Da ich für Schutz & Sicherheit zuständig bin und es mir obliegt, Situationen auf ihre Gefährlichkeit hin einzuschätzen, muss er lernen zu mir zukommen, wenn ich es sage.

Das sollte er können

I.) Soft-Skills

  • soziale Kompatibilität mit Menschen und Artgenossen
  • seinen Menschen vertrauen
  • sich in der Umwelt wohl und sicher fühlen

II.) Basis-Training

  • Rückruf; kann lebensrettend sein
  • an einem Ort bleiben; zur Sicherheit
  • mit etwas aufhören, wenn ich es sage; zur Sicherheit
  • entspannt an der Leine gehen, zur Sicherheit und zum Wohlgefühl aller Beteiligten.

Das ist nichts anderes als Erziehung, wie sie auch jedem Kind angedeihen sollte. (Bis auf das Basis-Training, vielleicht!? 😂.) Erziehung unter der Prämisse, dass der Hund sich wohlfühlt in seiner Haut, dort, wo er lebt, gut zurechtkommt, sich in der Welt und mit seinen Menschen sicher und geborgen fühlt und ein Mitglied der Gemeinschaft sein kann. Das ist gut, das wollen wir. Für jedes Kind. Für jeden Hund. Einer meiner Lehrer, Enrico Lombardi, hat es in der Ausbildung so formuliert: “Ein Hund sollte keine Belästigung sein.“ Stimmt. Und ich ergänze gerne, auch kein Mensch sollte dies sein. Reduktion, Rücksichtnahme und Achtsamkeit sind weiterhin das Erstrebenswerte im gesellschaftlichen Umgang.

Dressur oder Erziehung? – Haben oder Sein?

Was ist es denn nun, was darf es sein?

Wir wissen nun, der Existenzustand „Haben“ führt zu Neid und Angst, zu Entfremdung zwischen den Menschen, zwischen Mensch und Natur, zu Unterwerfung und Ausbeutung.
Der Existenzustand „Sein“ führt zu Liebe, lebendigem Erleben und Sinnhaftigkeit.

„Unterwürfig zu sein, ist nicht das Gleiche, wie gute Manieren zu haben und es ist nicht das gleiche, wie entspannt, ruhig und sozial kompetent zu sein.“

Laura Donaldson

Ihr ahnt es schon … Dressur gehört in die erste Kategorie, in die Kategorie Sichtweise auf den Hund im „Geisteszustand des Habens“ und Erziehung in die Kategorie Sichtweise auf den Hund im „Geisteszustand des Seins“.

Wie kommen wir vom „Haben“ zum „Sein“?

Bevor dieser Prozess gesamtgesellschaftlich werden kann, muss er von jedem einzelnen Individuum durchlaufen werden. Erst, wenn die Mehrheit der jeweiligen Elterngeneration derart geprägt ist und sie damit diese Werte an ihre Kinder weiter geben, sich somit die Werte des Umgangs miteinander, mit der Natur, dem Tierreich, ändern, wir uns endlich begriffen haben als Teil des Ganzen, erst dann kann sich gesamtgesellschaftlich etwas ändern. Bis dato werden die Werte, die sich aus der empfundenen inneren Leere des Individuums speisen, die Werte des „Habens“, die die Menschheit an den Abgrund ihrer Existenz führte, an dem sie sich jetzt befindet, von Generation zu Generation weiter gegeben.

Nicht verzagen!

Dieser Prozess ist gesamtgesellschaftlich und individuell. Die Tatsache, dass er individuell ist, ist die Chance für uns heute, hier und jetzt in einen Prozess einzutreten, der unser Leben und das Leben mit unserem Hund komplett verändert, es ist wie aufwachen.
Von Herzen gerne unterstütze ich Dich und selbstverständlich auch Dich gemeinsam mit Deinem Hund in diesem transformatorischen, lebensverändernden Prozess.

Mögen alle Wesen glücklich sein. 🙏